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Begleitete Elternschaft: Eine Brücke bauen mit Eltern mit geistiger Beeinträchtigung

Familie BERobert Hacker koordiniert für die DASI Berlin das Angebot ‚Begleitete Elternschaft‘. Mit dieser ambulanten Hilfe unterstützen er und sein Team Eltern mit geistiger Beeinträchtigung bei der Wahrnehmung ihrer Elternrolle. Gleichzeitig stellen sie das Kindeswohl sicher und ermöglichen somit, dass die Eltern gemeinsam mit ihren Kindern leben können. Hier erzählt er von seinen vielfältigen Aufgaben.

Die junge Mutter, mit der sich Robert Hacker vor dem Bürgeramt trifft, ist nervös. Die Aufgabe, die sie heute herbrachte, ist an sich keine große. Und doch ist die Hemmschwelle, ihren Ausweis verlängern zu lassen, riesig. Herr Hacker ist ihr Betreuer und begleitet sie zu ihrem Termin, um sie zu unterstützen und bei sprachlichen Barrieren zu dolmetschen. Zwischen solchen und anderen Störungen zu vermitteln, nimmt sehr viel Raum in den Hilfen von Herrn Hacker und seinem Team ein. Diese treten oft dort auf, wo die äußeren Erwartungen auf die eigenen Fähigkeiten treffen. Der gesellschaftliche Druck einer gewissen ‚Norm’ entsprechen zu müssen, stellt für Eltern mit Beeinträchtigung oft ein unüberwindbares Hindernis dar. „Wir sehen dann“, berichtet Herr Hacker, „dass die Familien, mit denen wir arbeiten, sich an den Rand gedrängt fühlen und drohen herunterzufallen. Unser Ziel ist es, mit ihnen zusammen eine ‚Brücke‘ zu bauen, die es ihnen ermöglicht, die ‚Gräben‘ des Alltags zu überwinden. Uns ist es dabei ungemein wichtig, dass sie nicht nur befähigt sind, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, sondern sich auch als berechtigten Teil davon fühlen.“

Team BEVor zehn Jahren trat die UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland in Kraft. In ihr ist das Recht auf Elternschaft für Menschen mit Behinderung fest verankert. Eine früher oft gehandhabte Trennung der Eltern von ihren Kindern, ist jetzt prinzipiell abgeschafft und nur im akuten Fall der Kindeswohlgefährdung in Betracht zu ziehen – wie bei allen anderen Familien auch. Das Stigma, keine ‚guten Eltern‘ sein zu können, hängt ihnen trotzdem oft immer noch an. „Im gesellschaftlichen Bild ist das leider noch sehr verbreitet. Aber auf der Ebene der Sozial- und Jugendämter hat sich inzwischen viel getan. In Berlin und Brandenburg haben in den letzten Jahren viele Fachkräfte dieses Thema engagiert vorangetrieben und eine Wende im Umgang mit Menschen mit Behinderung erreicht“, berichtet Robert Hacker enthusiastisch. „Es geht nicht mehr darum, ob Menschen mit Beeinträchtigung Kinder haben dürfen, sondern darum, wie man ihnen die passende Unterstützung zukommen lässt.“ Eine Beeinträchtigung ist nicht gleichbedeutend mit einem Hilfebedarf in Erziehungsfragen. „Wir betreuen in unserer anderen Angebotsform, dem ABEW, beeinträchtigte Eltern, die vielleicht Hilfe bei behördlichen Erledigungen brauchen“, stellt Herr Hacker klar, „aber sie sind fitte Mütter und Väter und die Kinder erleben eine stabile Kindheit.“

Wenn Eltern mit Beeinträchtigung Unterstützung suchen, hilft das Team der Begleiteten Elternschaft. Es besteht aus Heilerzieherpfleger*innen und Sozialarbeiter*innen und arbeitet auf zwei Ebenen mit den Familien zusammen. Die Eingliederungshilfe betreut die Hilfebedarfe der Eltern: Das Team unterstützt bei Amts- oder Arztbesuchen oder bei der Erledigung und Organisation von Alltagsaufgaben. Die Eltern sollen zum selbstständigen Leben empowered – also befähigt – werden. Dabei steht nicht die Hilfe im Fokus, sondern das Entwickeln von Fähig- und Fertigkeiten, Aufgaben eigenständig erledigen zu können. Auf der zweiten Ebene, der Familienhilfe, versucht das Team das System Familie zu stabilisieren. Im Zentrum stehen hier zwei Aspekte: Die Klarheit der Elternrolle und die damit zusammenhängenden Aufgaben sowie Verantwortungen und die Kinder, deren Belange und altersgerechte Entwicklung.

Die Hilfebedarfe, in den Familien sind vielfältig. „Die sprachliche Barrierefreiheit in den Ämtern ist einfach kaum existent“, erklärt Robert Hacker. „Weder wird die Leichte Sprache angeboten, noch gibt es ausreichend Beratungsangebote, die sich auf die Beeinträchtigung einstellen. Deshalb treten wir oft als Dolmetscher auf.“ Viel schwerwiegender für die Familien sind allerdings die an sie gerichteten alltäglichen Erwartungen, denen sie sich nicht gewachsen fühlen. „Oft passiert es, dass die Familien sich isolieren und ihnen ein Netzwerk fehlt, das sie in ihrem Alltag unterstützt.“ Hier setzt die Begleitete Elternschaft mit ihrer Arbeit an. Zusammen mit den Eltern wird geschaut, welche Ressourcen in ihrer Lebenswelt die Familie aktivieren kann, damit sie sich ein Unterstützungsnetz aufbaut.

Häufig geht es aber auch darum, die Rollenverteilung in der Familie zu klären: Wie ist die Interaktion zwischen dem Kind und den Eltern gestaltet? Ist diese altersgerecht? Besonders wenn die Kinder in die Adoleszenz kommen, wird es oft schwierig. „Es kommt vor“, berichtet Herr Hacker, „dass die Kinder mit dem Einstieg ins Jugendalter ihren Eltern intellektuell überlegen sind – in einem Alter, wo sich Jugendliche an ihren Eltern reiben, um sich zu lösen.“ Was ist aber, wenn sie diese Reibungsfläche bei ihren Eltern nicht finden? „Wir sehen hier zwei wiederkehrende Verhaltensweisen, die wir dann mit den Familien bearbeiten. Zum einen suchen sich die Jugendlichen andere Widerstände, vor allem in der Schule. Dann werden bisher gute Schüler plötzlich ‚verhaltensauffällig‘. Bei anderen sehen wir, dass sie mit einem Elternteil einen Symbiose ähnlichen Zustand eingehen.“

Immer dort, wo man mit Menschen arbeitet – deren unterschiedlichen Bedarfen und Lebenswelten – ist es wesentlich flexibel zu arbeiten. Gerade bei Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung, sollte ein Hilfesystem individuell auf die sehr verschiedenen Bedürfnisse und kognitiven Fähigkeiten eingehen können. Das Team der Begleiteten Elternschaft arbeitet dabei hoch partizipativ. „Wir arbeiten mit unseren Klient*innen zusammen“, erzählt Herr Hacker. „Wir stecken zusammen die Ziele ab und erarbeiten gemeinsam den Weg. Wir wollen schließlich die Selbstständigkeit für unsere Klient*innen erreichen. Eine der größten Freuden in unserem Beruf ist es, eine Hilfe zu beenden, weil sie nicht mehr nötig ist.“