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 Die DASI Berlin für Menschlichkeit und Vielfalt300x300px Icon wfmv

 

Das Bündnis Wir für Menschlichkeit und Vielfalt wurde mitinitiiert von der Bundesvereinigung Lebenshilfe e.V.. Auch die DASI Berlin beteiligt sich an der Aktion und setzt damit ein Zeichen gegen jegliche Form von Ausgrenzung und Diskriminierung.

25.08.2021 | In den drei Angeboten der DASI-Eingliederungshilfe (ABEW, TBEW und Begleitete Elternschaft), bekommen erwachsene Menschen mit geistiger Behinderung bzw. mit einer psychischen Erkrankung den Unterstützungsbedarf, den sie und ihre Familien individuell brauchen. Im Gespräch erzählen der Leiter der Eingliederungshilfen bei der DASI Berlin, Robert Hacker, und seine Kolleg*innen, wie der Bereich sich engagiert, um mit ihren Klient*innen für deren Rechte einzustehen.

Ihr betont immer, dass der Grundwert Eurer Arbeit darin liegt, gemeinsam mit Euren Klient*innen die größtmögliche Autonomie zu schaffen. Warum braucht es dafür Euch oder Euer Angebot?

Gespräch im ABEWRobert Hacker: Ich möchte, dass unsere Klient*innen wenn irgend möglich  keine Hilfe durch das Hilfesystem mehr benötigen. Wir arbeiten eigentlich immer daran, dass wir uns überflüssig machen. Unsere Gesellschaft ist aber noch nicht an dem Punkt, Menschen mit Behinderung die Unterstützung zu geben, die sie brauchen, um an allen Aspekten des gesellschaftlichen Lebens teilhaben zu können. Wir setzen uns dafür ein, dass unsere Klient*innen, ein selbstbestimmtes Leben führen – was ihr Grundrecht ist. Zurzeit brauchen sie aber hierfür ein Hilfesystem, zum Beispiel durch Angebote der Eingliederungshilfe.

Es gibt die Auslegung des Wortes Behinderung, dass nicht der Mensch eine Behinderung hat, sondern die Gesellschaft ihn*sie behindert, in dem sie Hürden aufbaut. Warum denkt Ihr, ist es so schwierig, hier ein Hilfesystem zu etablieren, dass sich an den Bedürfnissen Eurer Klient*innen orientiert, nicht an den extern aufgesetzten Barrieren?

Robert Hacker: Ein wichtiger Punkt ist die Sichtbarkeit von Behinderungen. Wenn wir in Deutschland z.B. von Barrierefreiheit reden, reden wir meist über Menschen im Rollstuhl. Es sind feste Bilder verankert, was mit Barrierefreiheit gemeint ist. Behinderungen sind aber nun einmal vielfältig und nicht immer an äußeren Merkmalen erkennbar. Es geht auch um Strukturen, die erstmal nicht sichtbar sind.

Jan Koberstein: Viele denken, Menschen mit Behinderung ist doch schon geholfen, da ihnen andere Menschen – wie wir – helfen. Wir möchten aber, dass Menschen mit Behinderung für sich entscheiden, wann sie Hilfe benötigen und in welcher Form – derzeit geben aber oft äußerliche Faktoren vor, wann sie uns anfragen, sie zu unterstützen. Ein Beispiel: Wenn Besuche beim Arzt oder bei der Ärztin anstehen, dann sind wir als Dolmetscher*in dabei.  Einiges, was hier besprochen wird, wird nicht verstanden und wir sprechen es im Nachhinein mit unseren Klient*innen durch. Die Praxen verlassen sich dann auf uns, dass wir die Sachverhalte klären.  Schöner wäre aber, die Fachkräfte in den Praxen setzen sich mit inklusiven Methoden auseinander und würden sich Zeit für den einzelnen Menschen nehmen.

In dem Sinne, baut der Gegenüber hier durch seine Sprache und die Struktur erst eine Hürde auf, die Ihr dann wieder abbauen müsst. Und wir reden hier ja nicht nur von Arztpraxen, sondern auch von vielen anderen Situationen. Wenn Fachkräfte anerkennen würden, dass auch sie etwas dazu beitragen, dass Menschen gehemmt werden und sich intensiv damit beschäftigten, wie sie inklusiver wären, könnten Eure Klient*innen diese Gänge alleine erledigen? Kurse in Leichter Sprache gibt es inzwischen weit verbreitet. Habt Ihr das Gefühl, dass Eure Klient*innen in dieser Situation formulieren dürfen, was sie brauchen?

ABEW Halloween Jan Koberstein: Zeit ist oft ein wichtiges Thema. Sich wirklich eine Stunde Zeit zu nehmen und sich mit unseren Klient*innen hinzusetzen und die Sachverhalte niedrigschwellig zu erklären und auch auf Fragen einzugehen, da gibt es selten Kapazitäten für. Es ist also auch ein strukturelles Problem.

Robert Hacker: Das Gegenüber muss auch empathisch genug sein, zu erkennen, dass der*die Gesprächspartner*in mich gerade nicht versteht. Es wird aber oft eher als Belastung gesehen, denn sie müssen aus ihren Strukturen heraus und sich mehr Zeit nehmen. Auf der anderen Seite gibt es bei unseren Klient*innen eine grundlegende Angst, sich zu outen, um nicht verletzt zu werden. Ihnen ist es selten möglich, einfach zu sagen: Ich habe bei gewissen Sachen Schwierigkeiten, könnten Sie es mir noch einmal erklären. Der Rahmen, wie wir ihn erleben, gibt ihnen selten die Chance, ihre Bedürfnisse zu äußern, ohne dass es ihnen zum Nachteil wird.

Sprache verbindet oder grenzt aus. Inklusion lebt aber davon, dass Menschen sich aufeinander einlassen, Fehler gemacht werden können und Raum gegeben wird, dass Verletzungen heilen können. Wenn dies strukturell nicht geschieht, ist das diskriminierend.  

Linda Bodenstab: Menschen mit einer psychischen Erkrankung werden oft Eigenschaften zugeschrieben. Sie werden mit negativen Begrifflichkeiten konfrontiert, die sie in Schubladen stecken. Das sind Begrifflichkeiten, die einfach im Sprachgebrauch verwendet werden: Der ist faul, die ist verrückt und so weiter.

Robert Hacker: Sprache wird als Zuschreibungsmittel verwendet. Wir wissen alle: Sprache schafft Wirklichkeiten. Indem Leute das aktiv gegenüber Menschen anbringen, macht es ja etwas mit dem Gegenüber. Fremdzuschreibungen können so zu Selbstzuschreibungen werden und Wirksamkeit im Sinne einer neuen, unter Umständen negativen Lebensrichtung entfalten. Und diese fehlende Sensibilität sehe ich auch in unserem Bereich der Eingliederungshilfe. Vorurteile schaffen innere Barrieren. Die Menschen denken sich: Das kann ich ja doch nicht, ich bin ja beeinträchtigt.

Was macht es mit Menschen, zum Sozialamt gehen zu müssen, um Hilfe zu beantragen?

Robert Hacker: Menschen mit Behinderung sind strukturell immer in der Situation, dass sie sich erklären müssen. Unsere Klient*innen sitzen manchmal alle sechs Monate jemandem gegenüber, der sie bewertet. Der*die sagt, du hast dies und das in den letzten Monaten nicht geschafft, warum eigentlich nicht? Das ist ein zweites „Elternsystem“ aber gestreckt über Jahrzehnte. Jemand anderes entscheidet über die Wertigkeit deines Lebens – bei erwachsenen Menschen!

Linda Bodenstab: Ich möchte noch auf einen wichtigen Aspekt eingehen, wo wir sehen, dass Menschen mit Behinderung oft Diskriminierung erfahren. Sie sind Eltern. Aber immer noch stehen Eltern mit Behinderung stärker unter Beobachtung als Eltern ohne Behinderung. Manche sind der Meinung, dass Behinderung bei Eltern gleich zu setzen ist, mit einer Kindeswohlgefährdung und dann wird vielleicht bei Fehlern das Jugendamt eingeschaltet. 

Robert Hacker: Ja, das sehen wir oft. Ich habe viele Eltern bei uns in der Betreuung erlebt, die ihre Sache teilweise besser machen, als andere Eltern ohne Beeinträchtigung. Sie haben nicht nur das Recht, Eltern zu sein, sondern sie dürfen dies auch ausleben. Genau, wie alle Eltern Fehler machen, dürfen sie dies auch. Hier wird nur, wie Linda sagt, immer genauer hingeschaut.

Was glaubt Ihr, können wir alle tun, um die Barrieren für Menschen mit Behinderung abzubauen?

Linda Bodenstab: Die generelle Barrierefreiheit wird zwar stetig angepasst, aber es ist immer noch ein langsam verlaufender Prozess. Die Akzeptanz in der Gesellschaft und das Bewusstsein, dass hier Menschen diskriminiert werden, muss noch stärker da sein und da haben wir noch viel vor uns.

Robert Hacker: Barrieren abzubauen ist eine Aufgabe für uns alle. Und wir wirken daran mit, dass Menschen Wege finden trotz objektiver und subjektiver Behinderungen mehr Teilhabe zu erreichen. Wir sehen uns hier als Partner*innen für unsere Klient*innen und ihre Rechte, indem wir gegen diskriminierendes Verhalten einstehen und aktiv aufklären. Wir haben eine klare Haltung und die spiegeln wir auch nach außen – sowohl an die Kostenträger, Sozial- und Jugendämter, Senatsverwaltung. Auch in der Hoffnung, wenn wir klar Stellung beziehen, dass sich hier andere Menschen und auch Institutionen sich damit anfreunden und es irgendwann gelebte Praxis ist, dass Menschen mit Behinderung gleichberechtigt und selbstbestimmt am sozialen Leben teilhaben.

lgar